Workshop „Per Anhalter durch die Prignitz - Eine Gedankenwerkstatt zur Fortbewegung auf dem Land“
Rede von Axel Vogel, Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz Brandenburg am 9. September 2022 in Streckenthin
Es gilt das gesprochene Wort!
„Mobilität in den ländlichen Räumen Brandenburgs: klimagerecht, bedarfsgerecht, sozial gerecht!“
Einführung
Weit mehr als die Hälfte der Brandenburger und Brandenburgerinnen leben im ländlichen Raum. Ihre Wege
- zur Arbeit,
- zur Schule,
- zum Einkauf,
- zum Arzt,
- zu kulturellen Angeboten oder zu Familienangehörigen
sind oft lang und kosten Zeit und Geld. Darum ist die Mobilität gerade hier ein politisches Schlüsselthema, eine Frage der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Teilhabe sowie der Daseinsvorsorge, welche die Menschen existentiell betrifft - und Wahlen entscheiden kann.
Zugleich gehört der Verkehrssektor - und hier vor allem der fossile motorisierte Individualverkehr - zu unseren klimapolitischen Sorgenkindern. Sein Anteil an den Treibhausgasemissionen beträgt in Brandenburg rund 10 Prozent mit nach wie vor steigender Tendenz. Wenn wir unser Klimaziel einer Treibhausgasneutralität bis 2045 erreichen wollen, müssen wir einen radikalen Umbau des Verkehrssektors vornehmen – ein Umbau, der die Art und Weise unserer Mobilität auf nachhaltige, klimagerechte Art verändern muss und der selbstverständlich nicht zu einem Verlust an Mobilität, zu einem Abhängen der ländlichen Räume führen darf!
Die Entwicklung und Umsetzung entsprechender Strategien gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Landesregierung in dieser Legislaturperiode. Wir müssen in den kommenden Jahren durch attraktive Alternativen - sprich durch einen massiven Ausbau des Angebotes des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) - vor allem das Verkehrsaufkommen im motorisierten Individualverkehr verringern und diesen wiederum durch klimafreundliche Antriebstechnologien und digitale Vernetzung effizienter gestalten.
Konkret heißt das: Die Landeregierung erarbeitet gegenwärtig unter Federführung meines Hauses mit dem Klimaplan eine Klimaschutzstrategie mit dem Ziel der Treibhausgasneutralität in Brandenburg bis spätestens 2045. Dazu wird auch ein von Gutachtern erarbeitetes und in einem öffentlichen Beteiligungsprozess abgestimmtes Maßnahmenpaket für den Verkehrssektor gehören.
Zugleich befindet sich die Landesregierung in einem Dialogprozess mit den InitiatorInnen der Volksinitiative „Verkehrswende jetzt!“, der in die Erarbeitung eines künftigen Brandenburgischen Mobilitätsgesetzes münden soll. Zu dessen Eckpunkten hat sich der Landtag bereits im vorigen Jahr bekannt:
- Erreichen der Klimaneutralität,
- umfassende Förderung des ÖPNV-, Rad- und Fußverkehrs und eine Steigerung dessen Anteils am Verkehrsaufkommen in Brandenburg auf 60 Prozent bis 2030.
Diese so ehrgeizigen wie notwendigen Ziele erfordern ein Umdenken und ein Umsteuern bei vielen Aspekten der brandenburgischen Verkehrspolitik: Etwa durch
- die Erstellung eines landesweiten Radwegeplans einschließlich von Radschnellverbindungen und der Möglichkeit für Landkreise, Städte und Gemeinde zur Aufstellung eigener Radverkehrspläne geben,
- die Weiterentwicklung der PlusBus-Linien zu einem kreisübergreifenden Konzept mit attraktiven Querverbindungen zwischen den Sternachsen der Regionalbahnen,
- die Prüfung der Reaktivierung von stillgelegten Bahnstrecken,
- die Durchsetzung des Prinzips „Erhalt vor Neubau“ beim Straßenbau,
- die Schaffung von Finanzierungsmöglichkeiten für lokale und regionale ÖPNV-Modellprojekte und nicht zuletzt
- durch die Förderung einer stärkere Kooperation der Landkreise und kreisfreien Städte bei der Gestaltung des ÖPNV.
Lassen Sie mich darstellen, welche Aspekte einer klima-, bedarfs- und sozial gerechten Mobilität in den ländlichen Räumen wie hier in der Prignitz mir als besonders wichtig erscheinen.
Klimagerechte Mobilität
Am klimagerechtesten ist immer die Mobilität, die nicht erforderlich ist. Das hört sich gerade hier in der Prignitz zunächst ein wenig weltfremd an. Denn die Wege zur Arbeit, zum Einkaufen oder zu Freunden sind hier oft weit. Trotzdem gilt der Vorrang für die Verkehrsvermeidung natürlich auch hier. Gerade die im ländlichen Raum ja oft sehr weiten Arbeitswege für die Pendlerinnen und Pendler gilt es zu vermeiden. Sicher kann nicht jeder Job vom heimatlichen Schreibtisch aus erledigt werden und natürlich bedarf es auch einer guten Infrastruktur für ein reibungsloses Arbeiten von zu Hause aus. Aber die letzten Monate mit der Corona-Pandemie haben ja recht eindrücklich gezeigt, was alles möglich ist.
Wenn eine Vermeidung nicht möglich ist, dann muss die Mobilität den Ansprüchen der Klimagerechtigkeit entsprechen. Und klimagerechte Mobilität heißt: Mobilität ohne Ausstoß von Treibhausgasen. Also klimaneutrale Mobilität. Denn die Treibhausgase sind es, die uns den Klimawandel bescheren, den wir alle in diesem Sommer sehr zu spüren bekommen haben. Weniger Niederschläge, lange Phasen der Dürre, sinkende Grundwasserspiegel und brennende Wälder – als dies sind nur Vorboten dessen, was auf uns zukommt wenn uns das Umsteuern auch in der Mobilität nicht gelingt.
Dabei ist es für den Klimaschutz zunächst einmal unerheblich, wie die klimaneutrale Mobilität realisiert wird. Ob man ein Fahrzeug nutzt, das von regenerativen Energien angetrieben wird, oder man seine Mobilität als FußgängerIn oder RadfahrerIn erledigt.
entscheidend ist aber, dass sich die Angebote für eine klimagerechte Mobilität an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen orientiert: sie muss auch bedarfsgerecht Und dafür sind in der Regel ganz unterschiedliche Angebote erforderlich.
Bedarfsgerechte Mobilität
Klar ist: ein klassischer, flächendeckender ÖPNV mit dichten Takten jenseits des Schulbusverkehrs wird in dünnbesiedelten Regionen auch in Zukunft kaum umsetzbar und finanzierbar sein – und auf das Auto werden die meisten Menschen hier wohl nicht ganz verzichten können, was aber getan werden muss ist, (neben der Förderung des Umstiegs auf saubere Antriebe) die Lücken zwischen ÖPNV und motorisiertem Individualverkehr zu schließen und flexible Tür-zu-Tür-Angebote zu entwickeln.
Wir brauchen auch hier in der Prignitz einen ÖPNV, der auf den Hauptachsen in kurzen Takten verkehrt und an den wichtigsten Haltepunkten - in der Prignitz also vor allem in Wittenberge (Regionalexpress Linie RE 8 ab 12/22), Perleberg und Pritzwalk (beide RE 6) - mit weiteren Angeboten (E-Ladesäulen, Park+Ride, Bike+Ride, CarSharing) verknüpft ist, hinzu kommen flexible Rufbusse wie das Angebot von Prignitzbus und das PlusBus-System als Querverbindung zu den Haltepunkten der Regionalbahnen (für die Prignitz: PlusBus zwischen Lenzen und Wittenberge), was eben zählt, sind verlässliche Mobilitätsangebote im Sinne einer Mobilitätsgarantie, die für jeden erreichbar und erschwinglich sind – und von der auch der Tourismus profitiert.
Bei der Entwicklung solcher flexiblen Mobilitätsangebote sind neben der Rahmensetzung und Mitfinanzierung durch den Bund, die Deutsche Bahn und das Land auch die Akteure vor Ort gefragt: der Landkreis, die Städte und Gemeinden, aber auch lokale Initiativen, die sich der Herausforderung einer nachhaltigen Mobilität im ländlichen Raum stellen wollen, etwa durch niedrigschwellige Sharing-Projekte für PKW und leichte Nutzfahrzeuge oder für Mitfahr- und Rufverkehre.
Sozial gerechte Mobilität
Wie schon gesagt: ein bedarfsgerechtes und bezahlbares Mobilitätsangebot ist gerade im ländlichen Raum mit seinen langen Wegen eine Grundvoraussetzung der gesellschaftlichen Teilhabe, hier müssen auch die unterschiedlichen Bedürfnisse der Einwohner/innen in den Blick genommen werden: Berufspendler, die nach Berlin oder Hamburg unterwegs sind, Jugendliche, die noch keine Fahrzeuge bedienen können oder auch alte oder behinderte Menschen, die das nicht mehr wollen oder können, alle habe ein Recht auf Mobilität und ihr Wohnort innerhalb des Landes Brandenburg bzw. ein mangelndes Angebot dürfen dafür zu keiner unüberwindbaren Hürde werden
Mobile Bäcker oder rollende Supermärkte, der Einsatz der Telemedizin oder auch der Betrieb eines Dorfladens durch engagierte Bürgerinnen und Bürger: Innovative Versorgungsformen erfüllen Funktionen der Daseinsvorsorge, indem sie in Bezug auf den Leistungserbringer, den Ort der Leistungserbringung oder auch die Art der Leistungserbringung von herkömmlichen Methoden und Formen abweichen. Um diese aus gesellschaftlicher Sicht sinnvolle und notwendige Aufgabe zu erfüllen, werden im Rahmen von LEADER-Vorhaben unterstützt, die neue Formen der Daseinsvorsorge in ländlichen Regionen beinhalten.
Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere mobile Angebote der Daseinsvorsorge. Beispiele für im Rahmen von LEADER geförderten Vorhaben sind:
- Bohren im Fernsehsessel – wenn die Zahnärztin ins Haus kommt - Zahnärztlicher Hausbesuchsdienst in der Uckermark
- Niemegker Nasenfahrrad - mobiler Augenoptikerservice
- „Über-Land-Mobil“ - mobiler Verkauf von Fleisch- und Wurstwaren aus eigener Produktion
- „Regiomat“ zur Vermarktung von handwerklich und traditionell hergestellten Produkte regionaler Erzeuger außerhalb von Öffnungszeiten in Trampe
- Unterstützung von Pfleg- und Betreuungsangeboten im ländlichen Raum
Über RufBus-Systeme verfügen mittlerweile die meisten Nahverkehrsgesellschaften in Brandenburg. Die Angebote sind entweder zeitlich flexibel oder entsprechend eines festen Fahrplanes; sie orientieren sich an dem jeweils bestehenden Liniensystem. Sie funktionieren umso besser, je simpler der Bestellvorgang abläuft. All das sind in diesem Sinne „aufsuchende Angebote“, die entsprechend einer Bestellung an der nächsten Dorfhaltestelle vorfahren und den Besteller oder die Bestellerin zur gewünschten Ziel-Haltestelle transportieren. Hinzu kommen einige BürgerBus-Angebote, die auf ehrenamtliches Engagement angewiesen sind.
Die Verkehrsgesellschaft Teltow-Fläming hat zum Beispiel ein vorbildliches Rufbus-System aufgebaut. Mithilfe einer leistungsstarken Software werden die Routen optimiert. Um den Service von 5:30 bis 21:30 Uhr in Anspruch zu nehmen, reicht eine Buchung eine Stunde vor Abfahrt. Für den Fahrgast wird lediglich ein Zuschlag in Höhe von 1 Euro zum ÖPNV-Tarif erhoben. Ein Großteil des Landkreises ist bereits erschlossen. Im letzten Jahr hat sich das Fahrgastaufkommen verdreifacht. Beschwerden über den ÖPNV gibt es seither keine mehr.
Auch eine weitere Hürde muss bei der Etablierung einer zukunftsfähigen Mobilität nicht nur in den ländlichen Raumen genommen werden: die eines komplizierten und im Vergleich zum Autoverkehr nicht gerade preiswerten Tarifsystems, bei allen unvermeidbaren Kinderkrankheiten haben uns die Erfahrungen mit dem 9 Euro-Ticket gezeigt, dass ein attraktives Preisangebot die Nachfrage nach ÖPNV-Angeboten und damit langfristig den Verzicht auf das eigene Auto deutlich befördern kann. Das funktioniert im ländlichen Raum aus den bekannten Gründen sicher anders als in der Stadt – aber ein guter Preis und ein gutes Angebot sind einfach unschlagbare Argumente für Busse und Bahnen, ein guter Ticketpreis muss auch einfach zu ermitteln sein – am besten mit einer wirklich simplen, für jeden nachvollziehbaren Tarifstruktur und attraktiven Abonnement-Modellen.
Dass dafür auf allen Ebenen zusätzliche Haushaltsmittel in erheblichem Maße eingesetzt beziehungsweise umverteilt werden müssen, dürfte allen klar sein – die gesellschaftliche Debatte ist darüber im Zusammenhang mit der Verlängerung des 9 Euro-Tickets gerade im Gange.
Für mich gilt: Politische Prioritäten für eine nachhaltige und klimagerechte Mobilität müssen sich auch in den Haushalten des Bundes und der Länder widerspiegeln. Wenn wir es ernst mit der Verkehrswende meinen, müssen unter anderem jene Mittel, die heute noch direkt oder indirekt in die Förderung des fossilen Autoverkehrs fließen, konsequent umgelenkt werden.
Abschluss
Mit Blick auf den charmanten Titel dieser Veranstaltung möchte ich abschließend sagen: In der Prignitz wird man in Zukunft hoffentlich gut und nachhaltig unterwegs sein, sicher nicht mit dem „Daumen im Wind“, sondern mit einem rasch gefundenen und gebuchten Angebot auf der Brandenburger ÖPNV-App, mit dem geliehen E-Bike, in einer Mitfahrgelegenheit, dem elektrischen Rufbus oder ganz klassisch mit dem Bus oder der Bahn – natürlich mit klimafreundlichen Antrieben.
Rede von Axel Vogel, Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz Brandenburg am 9. September 2022 in Streckenthin
Es gilt das gesprochene Wort!
„Mobilität in den ländlichen Räumen Brandenburgs: klimagerecht, bedarfsgerecht, sozial gerecht!“
Einführung
Weit mehr als die Hälfte der Brandenburger und Brandenburgerinnen leben im ländlichen Raum. Ihre Wege
- zur Arbeit,
- zur Schule,
- zum Einkauf,
- zum Arzt,
- zu kulturellen Angeboten oder zu Familienangehörigen
sind oft lang und kosten Zeit und Geld. Darum ist die Mobilität gerade hier ein politisches Schlüsselthema, eine Frage der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Teilhabe sowie der Daseinsvorsorge, welche die Menschen existentiell betrifft - und Wahlen entscheiden kann.
Zugleich gehört der Verkehrssektor - und hier vor allem der fossile motorisierte Individualverkehr - zu unseren klimapolitischen Sorgenkindern. Sein Anteil an den Treibhausgasemissionen beträgt in Brandenburg rund 10 Prozent mit nach wie vor steigender Tendenz. Wenn wir unser Klimaziel einer Treibhausgasneutralität bis 2045 erreichen wollen, müssen wir einen radikalen Umbau des Verkehrssektors vornehmen – ein Umbau, der die Art und Weise unserer Mobilität auf nachhaltige, klimagerechte Art verändern muss und der selbstverständlich nicht zu einem Verlust an Mobilität, zu einem Abhängen der ländlichen Räume führen darf!
Die Entwicklung und Umsetzung entsprechender Strategien gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Landesregierung in dieser Legislaturperiode. Wir müssen in den kommenden Jahren durch attraktive Alternativen - sprich durch einen massiven Ausbau des Angebotes des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) - vor allem das Verkehrsaufkommen im motorisierten Individualverkehr verringern und diesen wiederum durch klimafreundliche Antriebstechnologien und digitale Vernetzung effizienter gestalten.
Konkret heißt das: Die Landeregierung erarbeitet gegenwärtig unter Federführung meines Hauses mit dem Klimaplan eine Klimaschutzstrategie mit dem Ziel der Treibhausgasneutralität in Brandenburg bis spätestens 2045. Dazu wird auch ein von Gutachtern erarbeitetes und in einem öffentlichen Beteiligungsprozess abgestimmtes Maßnahmenpaket für den Verkehrssektor gehören.
Zugleich befindet sich die Landesregierung in einem Dialogprozess mit den InitiatorInnen der Volksinitiative „Verkehrswende jetzt!“, der in die Erarbeitung eines künftigen Brandenburgischen Mobilitätsgesetzes münden soll. Zu dessen Eckpunkten hat sich der Landtag bereits im vorigen Jahr bekannt:
- Erreichen der Klimaneutralität,
- umfassende Förderung des ÖPNV-, Rad- und Fußverkehrs und eine Steigerung dessen Anteils am Verkehrsaufkommen in Brandenburg auf 60 Prozent bis 2030.
Diese so ehrgeizigen wie notwendigen Ziele erfordern ein Umdenken und ein Umsteuern bei vielen Aspekten der brandenburgischen Verkehrspolitik: Etwa durch
- die Erstellung eines landesweiten Radwegeplans einschließlich von Radschnellverbindungen und der Möglichkeit für Landkreise, Städte und Gemeinde zur Aufstellung eigener Radverkehrspläne geben,
- die Weiterentwicklung der PlusBus-Linien zu einem kreisübergreifenden Konzept mit attraktiven Querverbindungen zwischen den Sternachsen der Regionalbahnen,
- die Prüfung der Reaktivierung von stillgelegten Bahnstrecken,
- die Durchsetzung des Prinzips „Erhalt vor Neubau“ beim Straßenbau,
- die Schaffung von Finanzierungsmöglichkeiten für lokale und regionale ÖPNV-Modellprojekte und nicht zuletzt
- durch die Förderung einer stärkere Kooperation der Landkreise und kreisfreien Städte bei der Gestaltung des ÖPNV.
Lassen Sie mich darstellen, welche Aspekte einer klima-, bedarfs- und sozial gerechten Mobilität in den ländlichen Räumen wie hier in der Prignitz mir als besonders wichtig erscheinen.
Klimagerechte Mobilität
Am klimagerechtesten ist immer die Mobilität, die nicht erforderlich ist. Das hört sich gerade hier in der Prignitz zunächst ein wenig weltfremd an. Denn die Wege zur Arbeit, zum Einkaufen oder zu Freunden sind hier oft weit. Trotzdem gilt der Vorrang für die Verkehrsvermeidung natürlich auch hier. Gerade die im ländlichen Raum ja oft sehr weiten Arbeitswege für die Pendlerinnen und Pendler gilt es zu vermeiden. Sicher kann nicht jeder Job vom heimatlichen Schreibtisch aus erledigt werden und natürlich bedarf es auch einer guten Infrastruktur für ein reibungsloses Arbeiten von zu Hause aus. Aber die letzten Monate mit der Corona-Pandemie haben ja recht eindrücklich gezeigt, was alles möglich ist.
Wenn eine Vermeidung nicht möglich ist, dann muss die Mobilität den Ansprüchen der Klimagerechtigkeit entsprechen. Und klimagerechte Mobilität heißt: Mobilität ohne Ausstoß von Treibhausgasen. Also klimaneutrale Mobilität. Denn die Treibhausgase sind es, die uns den Klimawandel bescheren, den wir alle in diesem Sommer sehr zu spüren bekommen haben. Weniger Niederschläge, lange Phasen der Dürre, sinkende Grundwasserspiegel und brennende Wälder – als dies sind nur Vorboten dessen, was auf uns zukommt wenn uns das Umsteuern auch in der Mobilität nicht gelingt.
Dabei ist es für den Klimaschutz zunächst einmal unerheblich, wie die klimaneutrale Mobilität realisiert wird. Ob man ein Fahrzeug nutzt, das von regenerativen Energien angetrieben wird, oder man seine Mobilität als FußgängerIn oder RadfahrerIn erledigt.
entscheidend ist aber, dass sich die Angebote für eine klimagerechte Mobilität an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen orientiert: sie muss auch bedarfsgerecht Und dafür sind in der Regel ganz unterschiedliche Angebote erforderlich.
Bedarfsgerechte Mobilität
Klar ist: ein klassischer, flächendeckender ÖPNV mit dichten Takten jenseits des Schulbusverkehrs wird in dünnbesiedelten Regionen auch in Zukunft kaum umsetzbar und finanzierbar sein – und auf das Auto werden die meisten Menschen hier wohl nicht ganz verzichten können, was aber getan werden muss ist, (neben der Förderung des Umstiegs auf saubere Antriebe) die Lücken zwischen ÖPNV und motorisiertem Individualverkehr zu schließen und flexible Tür-zu-Tür-Angebote zu entwickeln.
Wir brauchen auch hier in der Prignitz einen ÖPNV, der auf den Hauptachsen in kurzen Takten verkehrt und an den wichtigsten Haltepunkten - in der Prignitz also vor allem in Wittenberge (Regionalexpress Linie RE 8 ab 12/22), Perleberg und Pritzwalk (beide RE 6) - mit weiteren Angeboten (E-Ladesäulen, Park+Ride, Bike+Ride, CarSharing) verknüpft ist, hinzu kommen flexible Rufbusse wie das Angebot von Prignitzbus und das PlusBus-System als Querverbindung zu den Haltepunkten der Regionalbahnen (für die Prignitz: PlusBus zwischen Lenzen und Wittenberge), was eben zählt, sind verlässliche Mobilitätsangebote im Sinne einer Mobilitätsgarantie, die für jeden erreichbar und erschwinglich sind – und von der auch der Tourismus profitiert.
Bei der Entwicklung solcher flexiblen Mobilitätsangebote sind neben der Rahmensetzung und Mitfinanzierung durch den Bund, die Deutsche Bahn und das Land auch die Akteure vor Ort gefragt: der Landkreis, die Städte und Gemeinden, aber auch lokale Initiativen, die sich der Herausforderung einer nachhaltigen Mobilität im ländlichen Raum stellen wollen, etwa durch niedrigschwellige Sharing-Projekte für PKW und leichte Nutzfahrzeuge oder für Mitfahr- und Rufverkehre.
Sozial gerechte Mobilität
Wie schon gesagt: ein bedarfsgerechtes und bezahlbares Mobilitätsangebot ist gerade im ländlichen Raum mit seinen langen Wegen eine Grundvoraussetzung der gesellschaftlichen Teilhabe, hier müssen auch die unterschiedlichen Bedürfnisse der Einwohner/innen in den Blick genommen werden: Berufspendler, die nach Berlin oder Hamburg unterwegs sind, Jugendliche, die noch keine Fahrzeuge bedienen können oder auch alte oder behinderte Menschen, die das nicht mehr wollen oder können, alle habe ein Recht auf Mobilität und ihr Wohnort innerhalb des Landes Brandenburg bzw. ein mangelndes Angebot dürfen dafür zu keiner unüberwindbaren Hürde werden
Mobile Bäcker oder rollende Supermärkte, der Einsatz der Telemedizin oder auch der Betrieb eines Dorfladens durch engagierte Bürgerinnen und Bürger: Innovative Versorgungsformen erfüllen Funktionen der Daseinsvorsorge, indem sie in Bezug auf den Leistungserbringer, den Ort der Leistungserbringung oder auch die Art der Leistungserbringung von herkömmlichen Methoden und Formen abweichen. Um diese aus gesellschaftlicher Sicht sinnvolle und notwendige Aufgabe zu erfüllen, werden im Rahmen von LEADER-Vorhaben unterstützt, die neue Formen der Daseinsvorsorge in ländlichen Regionen beinhalten.
Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere mobile Angebote der Daseinsvorsorge. Beispiele für im Rahmen von LEADER geförderten Vorhaben sind:
- Bohren im Fernsehsessel – wenn die Zahnärztin ins Haus kommt - Zahnärztlicher Hausbesuchsdienst in der Uckermark
- Niemegker Nasenfahrrad - mobiler Augenoptikerservice
- „Über-Land-Mobil“ - mobiler Verkauf von Fleisch- und Wurstwaren aus eigener Produktion
- „Regiomat“ zur Vermarktung von handwerklich und traditionell hergestellten Produkte regionaler Erzeuger außerhalb von Öffnungszeiten in Trampe
- Unterstützung von Pfleg- und Betreuungsangeboten im ländlichen Raum
Über RufBus-Systeme verfügen mittlerweile die meisten Nahverkehrsgesellschaften in Brandenburg. Die Angebote sind entweder zeitlich flexibel oder entsprechend eines festen Fahrplanes; sie orientieren sich an dem jeweils bestehenden Liniensystem. Sie funktionieren umso besser, je simpler der Bestellvorgang abläuft. All das sind in diesem Sinne „aufsuchende Angebote“, die entsprechend einer Bestellung an der nächsten Dorfhaltestelle vorfahren und den Besteller oder die Bestellerin zur gewünschten Ziel-Haltestelle transportieren. Hinzu kommen einige BürgerBus-Angebote, die auf ehrenamtliches Engagement angewiesen sind.
Die Verkehrsgesellschaft Teltow-Fläming hat zum Beispiel ein vorbildliches Rufbus-System aufgebaut. Mithilfe einer leistungsstarken Software werden die Routen optimiert. Um den Service von 5:30 bis 21:30 Uhr in Anspruch zu nehmen, reicht eine Buchung eine Stunde vor Abfahrt. Für den Fahrgast wird lediglich ein Zuschlag in Höhe von 1 Euro zum ÖPNV-Tarif erhoben. Ein Großteil des Landkreises ist bereits erschlossen. Im letzten Jahr hat sich das Fahrgastaufkommen verdreifacht. Beschwerden über den ÖPNV gibt es seither keine mehr.
Auch eine weitere Hürde muss bei der Etablierung einer zukunftsfähigen Mobilität nicht nur in den ländlichen Raumen genommen werden: die eines komplizierten und im Vergleich zum Autoverkehr nicht gerade preiswerten Tarifsystems, bei allen unvermeidbaren Kinderkrankheiten haben uns die Erfahrungen mit dem 9 Euro-Ticket gezeigt, dass ein attraktives Preisangebot die Nachfrage nach ÖPNV-Angeboten und damit langfristig den Verzicht auf das eigene Auto deutlich befördern kann. Das funktioniert im ländlichen Raum aus den bekannten Gründen sicher anders als in der Stadt – aber ein guter Preis und ein gutes Angebot sind einfach unschlagbare Argumente für Busse und Bahnen, ein guter Ticketpreis muss auch einfach zu ermitteln sein – am besten mit einer wirklich simplen, für jeden nachvollziehbaren Tarifstruktur und attraktiven Abonnement-Modellen.
Dass dafür auf allen Ebenen zusätzliche Haushaltsmittel in erheblichem Maße eingesetzt beziehungsweise umverteilt werden müssen, dürfte allen klar sein – die gesellschaftliche Debatte ist darüber im Zusammenhang mit der Verlängerung des 9 Euro-Tickets gerade im Gange.
Für mich gilt: Politische Prioritäten für eine nachhaltige und klimagerechte Mobilität müssen sich auch in den Haushalten des Bundes und der Länder widerspiegeln. Wenn wir es ernst mit der Verkehrswende meinen, müssen unter anderem jene Mittel, die heute noch direkt oder indirekt in die Förderung des fossilen Autoverkehrs fließen, konsequent umgelenkt werden.
Abschluss
Mit Blick auf den charmanten Titel dieser Veranstaltung möchte ich abschließend sagen: In der Prignitz wird man in Zukunft hoffentlich gut und nachhaltig unterwegs sein, sicher nicht mit dem „Daumen im Wind“, sondern mit einem rasch gefundenen und gebuchten Angebot auf der Brandenburger ÖPNV-App, mit dem geliehen E-Bike, in einer Mitfahrgelegenheit, dem elektrischen Rufbus oder ganz klassisch mit dem Bus oder der Bahn – natürlich mit klimafreundlichen Antrieben.